In dem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz stritten die Parteien über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen des Beklagten, die Berechtigung zweier Abmahnungen sowie über die Frage, ob der Kläger berechtigt ist, bei den Gästen zu kassieren und das Trinkgeld zu behalten.

Der Kläger war seit dem 05.11.1992 im Restaurant des Hotels X. als Kellner zu einem Bruttomonatsentgelt von € 1.750,00 beschäftigt gewesen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestand nicht. Der Beklagte übernahme das Hotel am 01.07.2009 im Wege eines Betriebsübergangs. Er beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.

Der Kläger war bisher berechtigt gewesen, bei den Gästen zu kassieren und das Trinkgeld zu behalten. Er hatte nach seinen Angaben Trinkgelder von nicht unter € 500,00 monatlich erzielt. Am 21.02.2010 erteilte ihm der Beklagte die Anweisung, daß er ab sofort nicht mehr bei den Gästen kassieren dürfe, sondern nur noch die Geschäftsleitung. Das Trinkgeld solle nunmehr in einem Geldbeutel gesammelt und dann gleichmäßig unter dem Personal aufgeteilt werden. Hiermit war der Kläger nicht einverstanden.

Der Beklagte erteilte ihm wegen Verstößen gegen die neue Regelung am 24.02.2010 und am 25.02.2010 eine schriftliche Abmahnung. Mit Schreiben vom 13.03.2010 und nochmals vom 30.03.2010 kündigte er das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, der Kündigungsschutzklage stattzugeben, den Beklagten zu verpflichten, die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen und das Einräumen der Berechtigung des Abkassierens auf Seiten des Klägers bestätigte das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 09.12.2010 (10 Sa 483/10).

Das Landesarbeitsgericht teilte die Auffassung des Arbeitsgerichts, daß, wenn eine betriebliche Regelung über einen längeren Zeitraum hinweg beibehalten werde, ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den Willen des Arbeitgebers schließen könne, diese Regelung auch künftig unverändert beizubehalten. Eine Änderung der ursprünglich vereinbarten Rechte und Pflichten durch sogenannte Konkretisierung in einen einseitig nicht veränderlichen Vertragsinhalt trete nicht allein dadurch ein, daß der Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt worden sei. Zum reinen Zeitablauf müßten besondere Umstände hinzutreten, die erkennen ließen, daß der Arbeitnehmer nur noch verpflichtet sein solle, seine Arbeit unverändert zu erbringen.

Solche besonderen Umstände seien im vorliegenden Fall gegeben, weil dem Kläger mit dem Entzug der Kassiertätigkeit die Chance genommen werde, von den Gästen Trinkgelder zu erhalten. Durch diese Trinkgelder habe der Kläger – nach seinem unbestrittenen Vorbringen – erhebliche Netto-Einkünfte in Höhe von monatlich € 500,00 erzielt, die ihm der Beklagte nicht einseitig entziehen dürfe.

Trinkgelder gehörten arbeitsrechtlich nicht zum Arbeitsentgelt, weil sie als persönliche Zuwendung aus einer bestimmten Motivationslage freiwillig von Dritten erbracht würden. Sie gehörten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts daher für Zeiten des Urlaubs, der Arbeitsunfähigkeit und der Betriebsratstätigkeit nicht zum vom Arbeitgeber fortzuzahlenden Arbeitsentgelt.

Dem Begriff des Trinkgeldes sei als Zeichen der besonderen Honorierung einer Dienstleistung über das vereinbarte Entgelt hinaus ein Mindestmaß an persönlicher Beziehung zwischen Trinkgeldgeber und Trinkgeldnehmer grundsätzlich immanent. Charakteristisch dafür sei, daß in einem nicht unbedingt rechtlichen, jedenfalls aber tatsächlichen Sinne Geldfluß und honorierte Leistung korrespondierend einander gegenüberstehen.

Das Trinkgeld und die damit „belohnte“ Dienstleistung kämen dem Arbeitnehmer und dem Kunden unmittelbar zugute. Der Trinkgeldempfänger stehe faktisch in einer doppelten Leistungsbeziehung und erhalte entsprechend dazu auch doppeltes Entgelt, nämlich das Arbeitsentgelt seitens seines Arbeitgebers und das Trinkgeld seitens des Kunden.

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage könne der Beklagte nicht einseitig bestimmen, daß der Kläger das Trinkgeld, das ihm die Gäste persönlich zuwenden würden, in eine Gemeinschaftskasse einzahle und anschließend mit dem übrigen Personal teile. Er könne die von ihm gewünschte Aufteilung des Trinkgeldes unter dem Personal nicht – gewissermaßen durch die Hintertür – dadurch erzwingen, daß er dem Kläger nicht mehr erlaube, selbst bei den Gästen zu kassieren.