Das Landesarbeitsgericht Köln urteilte am 18.11.2010 (6 Sa 817/10), daß die Verwertung heimlicher Videoaufnahmen von öffentlich zugänglichen Räumen (hier: Kassenbereich eines Supermarkts) im Kündigungsschutzprozeß in verfassungskonformer Einschränkung des § 6 b Abs. 2 BDSG zulässig sei, wenn sich der Arbeitgeber in einer notwehrähnlichen Lage befinde und die heimliche Videoüberwachung nicht unverhältnismäßig sei.

Der Klägerin, die stellvertretende Filialleiterin eines Supermarktes gewesen war, war in dem Verfahren vorgeworfen worden, nachweislich durch eine Videoaufnahme Zigaretten gestohlen zu haben.

Der Klägerin war sodann fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt worden.

Zur fristlosen Kündigung führte das Landesarbeitsgericht aus, daß es für die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.01.2009 an einem wichtigen Grund fehle.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB könne das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen würden, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden könne. Das Gesetz kenne daher keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr sei jeder Einzelfall gesondert zu würdigen.

Dafür sei zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände “ an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet sei. Alsdann bedürfe es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar sei oder nicht.

Zwar liege nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Aus den überreichten Videosequenzen mit den Aufnahmen vom 06.12.2008 und 17.12.2008 ergebe sich auch für das Berufungsgericht unzweifelhaft, daß die Klägerin sich jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand der Beklagten angeeignet habe. Es sei von einem vorsätzlich pflichtwidrigen Verhalten der Klägerin auszugehen, nämlich die Entwendung zumindest zweier Zigarettenschachteln seier erwiesen.

Mit ihrem vorsätzlichen Fehlverhalten habe die Klägerin eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung begangen. Die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten würde zum Kernbereich ihrer Aufgaben als Verkäuferin und stellvertretende Filialleiterin gehören.

Die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin reiche die hilfsweise erklärte fristgerechte Kündigung aus.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar sei, sei in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es habe eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen sei, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar sei oder nicht, ließen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen seien aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung komme nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gebe, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, und dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar seien. Als mildere Reaktionen kämen insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung in Betracht. Sie seien dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet seien, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen.

Diese Grundsätze würden uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers gelten. Auch in diesem Bereich gebe es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Dies führe hier dazu, daß der Beklagten jedenfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2009 zumutbar gewesen sei.

Bei der Interessenabwägung falle zugunsten der Klägerin ins Gewicht, daß sie rund 18 Jahre lang durch eine beanstandungsfrei Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies und der Umstand, daß ihr Fehlverhalten einen relativ geringen wirtschaftlichen Schaden verursacht habe, ließen die fristlose Kündigung als in der Sanktionsskala übermäßige Reaktion erscheinen. Zwar sei durch die von der Klägerin begangenen Vermögensdelikte ein irreparabler Vertrauensverlust entstanden, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Beklagte letztlich unzumutbar mache. Dies gelte aber nicht gleichermaßen für die Einhaltung der Kündigungsfrist. Die vorübergehende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu dem absehbaren Ende am 31.07.2009 sei der Beklagten noch zumutbar gewesen, wobei auch eine weitere Freistellung der Klägerin in Betracht zu ziehen gewesen wäre. Insgesamt stelle sich das Fehlverhalten bei Abwägung aller Umstände als nicht so schwerwiegend dar, daß als Reaktion nur noch die fristlose Kündigung als ultima ratio übrig geblieben sei.

Aus dem Vorstehenden folge, daß die ordentliche Kündigung als milderes und im Streitfall angemessenes Mittel das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2009 beendet habe. Diese Kündigung sei nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG, weil sie durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen würden, bedingt sei (§ 1 Abs. 2 KSchG). Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei durch die erwiesenen vorsätzlichen Pflichtverletzungen objektiv derart erschüttert, daß dessen Wiederherstellung und ein künftig wieder störungsfreies Miteinander der Parteien nicht mehr zu erwarten sei. Bei der Interessenabwägung nach § 1 Abs. 1 KSchG sei dem Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Bestandsschutzinteresse der Klägerin auch unter Berücksichtigung ihres Lebensalters und der langen Betriebszugehörigkeit der Vorzug einzuräumen. Die Klägerin habe durch ihre vorsätzlich rechtswidrige Vermögensbeschädigung der Beklagten ungeachtet des geringen Werts der entwendeten Gegenstände die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zerstört.

Die Videoaufnahmen, die die Tatbegehung der Klägerin dokumentieren würden, unterlägen auch keinem Beweisverwertungsverbot. Zwar stelle die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber einen Eingriff in das durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Dieser Eingriff führe jedoch dann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft seien, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstelle und insgesamt nicht unverhältnismäßig sei.

Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt gewesen, auch wenn sich der Verdacht strafbaren Verhaltens zunächst nicht konkret gegen die Klägerin gerichtet habe. Jedenfalls habe der Verdacht dahingehend bestanden, daß Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluß auf die festgestellten Inventurdifferenzen hätten haben können. Der Betriebsrat habe daraufhin auch der Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung für die Dauer von 4 Wochen unter bestimmten Auflagen zugestimmt. Unter anderem habe den Mitarbeitern durch die Aufzeichnungen, sofern kein strafrechtlich verwertbares Material vorläge, keine Repressalien gedroht.

An der Zulässigkeit der Verwertung heimlicher Videoaufnahmen – zumal unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – vermöge auch die Vorschrift des § 6 b Abs. 2 BDSG nichts zu ändern, nach der bei der Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch – elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen seien. Daraus könne nicht das Verbot jedweder verdeckten Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen abgeleitet werden.

Eine verfassungskonforme Einschränkung der Vorschrift sei jedenfalls dann geboten, wenn sich der Arbeitgeber in einer notwehrähnlichen Lage befände und die heimliche Videoüberwachung nicht unverhältnismäßig sei.

So habe auch das Bundesverfassungsgericht ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt gewesen sei.

Hier sei ersichtlich nicht der Kernbereich privater Lebensgestaltung der Klägerin berührt. Die Videoaufnahmen zeigten sie vielmehr in dem öffentlich zugänglichen Arbeits- und Kassenbereich, in dem sogar eine ständige Videoüberwachung grundsätzlich zulässig sei. Dann müsse unter besonderen Umständen, die hier gegeben seien, auch eine verdeckte Überwachung statthaft sein, ohne daß in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre des Arbeitnehmers eingegriffen werde.

Die Kündigung verstöße schließlich nicht gegen § 102 Abs. 1 BetrVG.