In dem Verfahren vor dem Landgericht Münster machte der Kläger gegen den Verkäufer einer Eigentumswohnung Schadensersatzansprüche wegen Geräuschbeeinträchtigungen geltend, die von einem an Autismus erkrankten Kind stammten, welches auf dem Nachbargrundstück wohnte. Das Gericht wies die Klage durch Urteil vom 26.02.2009 (08 O 378/08) als unbegründet ab.
Der Sohn der Nachbarn des Klägers litt offenbar an Autismus, einer Entwicklungsstörung, die in der Regel auf einer Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns beruht. In den Sommermonaten hielt sich der Sohn B. häufig nachmittags bis abends im Garten auf. Dort gab der Junge aufgrund seiner Erkrankung Geräusche von sich, die einem Kreischen oder Schreien ähneln. Der Kläger sah sich durch diese Geräusche in der Nutzung seiner Terrasse und des Gartens für Büro- oder Freizeitaktivitäten beeinträchtigt und forderte die Verkäuferin vergeblich zur Rückzahlung eines Teils des Kaufpreises auf.
Das Landgericht erläuterte, daß beispielsweise Kinderlärm aus der Nachbarschaft grundsätzlich keinen Sachmangel begründe. Es handele sich dabei um eine übliche und sozialadäquate Beeinträchtigung. Wer ein gesteigertes Ruhebedürfnis habe, sei verpflichtet, beim Vertragsschluß ausdrücklich darauf hinzuweisen und selbst umfassende Erkundigungen in der Umgebung einzuholen.
Auch aus dem Umstand, daß es sich um Geräusche eines autistischen Kindes handele, ergebe sich kein Sachmangel.
Die Laute eines behinderten Kindes beinhalteten schon keine besondere, mangelbegründende Lästigkeit. Allein die Einschätzung als „Schreien oder Kreischen“ könne einen Sachmangel nicht begründen. Es sei dem Kind offenbar nicht möglich, sich anders zu artikulieren. Im nachbarlichen Zusammenleben sei zudem ein erhöhtes Maß an Toleranzbereitschaft erforderlich, um dem Behinderten gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ein Leben frei von vermeidbaren Beschränkungen zu ermöglichen.
Entscheidungen aus dem Reiserecht bestätigten diese Wertung. Zwar würde vereinzelt die Ansicht vertreten, die Anwesenheit einer Urlaubsgruppe von behinderten Menschen könne bei empfindsamen Menschen eine Urlaubsbeeinträchtigung darstellen. Demgegenüber werde aber zu Recht mehrheitlich auf das allgemeine Lebensrisiko verwiesen. Der Vertragspartner schulde eine vertragsgemäße Leistung im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos, nicht aber darüber hinaus einen ungetrübten Urlaubsgenuß nach subjektiver Auffassung eines empfindsamen Menschen. Denn Maßstab sei gemäß §§ 157, 242 BGB nicht die Beurteilung eines „empfindsamen“, sondern eines verständigen Durchschnittsmenschen. Ein verständiger Durchschnittsmensch aber wisse, daß einem behinderten Kind ein besonderer Schutz zukomme, der verfassungsrechtlich normiert sei, Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1; Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
Selbst bei Unterstellung eines Mangels wäre die erforderliche Wesentlichkeitsschwelle iSd § 906 Abs. 1 BGB nicht überschritten. Die Wesentlichkeitsschwelle sei bei derartigen Beeinträchtigungen nur erreicht, wenn keine ausreichenden Ruhezeiten bestünden. Im vorliegenden Fall könnten Ruhezeiten im erforderlichen Umfang eingehalten werden. Dabei sei zu berücksichtigen, daß sich das Kind nur nachmittags bei entsprechenden Witterungsverhältnissen im Garten durch Geräusche bemerkbar mache. Tagsüber könne dem Kläger aber eine weitergehende Beeinträchtigung zugemutet werden als beispielsweise zur Nachtzeit. Der Kläger habe auch die Möglichkeit, sich mit den Nachbarn auf bestimmte Ruhezeiten zu verständigen. Hinweise auf eine gesundheitliche Belastung des Klägers gebe es nicht.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Verkäuferin aus §§ 280 Abs. 1 iVm 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht. Es könne dahinstehen, ob der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 iVm 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB neben den Gewährleistungsansprüchen des Kaufrechts nach den §§ 437 ff. BGB eine eigenständige Bedeutung habe. Jedenfalls sei die Verkäuferin nicht verpflichtet gewesen, vor Abschluß des Kaufvertrages auf eventuelle Beeinträchtigungen durch das behinderte Kind hinzuweisen. Eine Aufklärungspflicht bestünde grundsätzlich nur hinsichtlich derjenigen Umstände, die für den Vertragsabschluß des anderen Teils erkennbar entscheidungserheblich seien und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden könne.
Bei den Geräuschen des autistischen Kindes handele es sich nicht um einen erkennbar entscheidungserheblichen Umstand. Ein entscheidungserheblicher Umstand sei nämlich nur eine Information, die geeignet sei, den anderen Teil vom Vertragsschluß abzuhalten. Der Umstand, daß ein autistisches Kind sich in der Nachbarschaft durch Geräusche bemerkbar mache, könne nicht als solches Vertragshindernis angesehen werden. Schon ethische Gründe würden gegen eine Verpflichtung zu derartigen Hinweisen sprechen. Sie würde nämlich zumindest mittelbar dazu führen, daß behinderte Menschen, die unter dem besonderen Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG stünden, benachteiligt würden. Abzustellen sei hierbei erneut auf einen verständigen Durchschnittsmenschen, der wisse, daß einem behinderten Menschen der besondere Schutz der Gesellschaft zuzukommen habe. Deshalb gelten auch hier die gleichen Grundsätze, die auch gegen die Annahme eines Sachmangels gesprochen hätten.
Auch im Mietrecht werde bei vergleichbarer Interessenlage eine Aufklärungspflicht verneint. Ein Mieter sei beispielsweise nicht verpflichtet, über höchstpersönliche Umstände aufzuklären. Eine Schwerbehinderung sei ein höchstpersönlicher Umstand, der neben Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch durch Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG und einfachgesetzlich durch §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 1 AGG geschützt sei und damit auch nicht mitteilungspflichtig sei (BVerfG, NJW 1991, 2411). Weder die Erkrankung des Mieters selbst noch eines Mitbewohners sei danach aufklärungspflichtig. Daraus ergebe sich, daß Dritte, vorliegend die Verrkäuferin, erst Recht nicht zur Preisgabe höchstpersönlicher Umstände anderer verpflichtet werden können.
Ein Vertragshindernis wegen der Beeinträchtigung aufgrund einer Behinderung werde auch bei vergleichbaren Sachverhalten im Arbeitsrecht abgelehnt. Dem Arbeitgeber sei es nur dann gestattet, bei einem Einstellungsgespräch nach einer Schwerbehinderung zu fragen, wenn gerade die konkrete Tätigkeit mit dieser Schwerbehinderung generell unvereinbar sei.
Wenn man diese Wertung auf den Grundstückskauf übertrage, bestehe kein Aufklärungsinteresse seitens des Klägers. Denn es seikeine Grundstücksnutzung ersichtlich, die mit dem Autismus des Nachbarn schlechthin unvereinbar wäre.
Doch selbst bei unterstellter Entscheidungserheblichkeit könne eine Mitteilung jedenfalls nach Treu und Glauben nicht erwartet werden. Eine solche Mitteilung sei nur erforderlich, wenn die nichtwissende Partei schutzwürdig und die Mitteilung der wissenden Partei nach Abwägung der Risikoverteilung zumutbar sei. Wegen des natürlichen Interessenwiderstreits der Vertragsparteien bestehe grundsätzlich keine Aufklärungspflicht. Jeder müsse selbst das Verwendungsrisiko tragen. Nur in Ausnahmefällen falle die Abwägung zugunsten der nichtwissenden Partei aus und begründe eine Aufklärungspflicht. Bei der Abwägung seien die Eigenverantwortlichkeit des Käufers, die Zumutbarkeit der Haftung des Verkäufers und die näheren Umstände des Vertragsschlusses zu berücksichtigen.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 263 Abs. 1, 13 StGB bestehe nicht. Voraussetzung für eine Täuschung durch Unterlassen sei eine Garantenpflicht zur Aufklärung. Wie bereits dargelegt, bestehe eine solche Aufklärungspflicht nicht.
Aus den vorstehenden Ausführungen folge, daß dem Kläger auch kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zustehe. Denn es sei nach den vorstehenden Feststellungen schon offensichtlich keine sittenwidrige Schadenszufügung erfolgt.
Ein Minderungsanspruch nach §§ 434, 437 Nr. 2, 441 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB scheide ebenfalls aus, da kein Sachmangel vorliegt.
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