Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 01.06.2005 (3 A 190/03):

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine außerhalb des Dienstortes und der regelmäßigen Dienstzeit für zwei Sachgebiete eines größeren Finanzamtes organisierte Weihnachtsfeier eine dienstliche Veranstaltung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG sein kann (hier bejaht).

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der das Gericht vorliegende folgte, ist geklärt, daß auch eine Weihnachtsfeier, an der der Beamte teilnimmt, als dienstliche Veranstaltung im Sinne des Dienstunfallrechts gelten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.2.1989 – 2 C 38.86 –, NJW 1989, 2005 f. mit weiteren Nachweisen). Eine Teilnahme an einer von den Angehörigen eines Teils einer größeren Dienststelle organisierten Weihnachtsfeier dient allerdings nur dann dienstlichen Interessen und Zwecken und unterliegt dem Dienstunfallschutz, wenn die Gemeinschaftsveranstaltung ihre entscheidende Prägung durch die dienstliche Sphäre erhält. Sie muß im Zusammenhang mit dem Dienst, den eigentlichen Dienstaufgaben, stehen und dienstlichen Interessen dienen (materielle Dienstbezogenheit). Außerdem muß sie, sei es unmittelbar oder mittelbar, von der Autorität eines Dienstvorgesetzten getragen werden und damit in den weisungsgebundenen Dienstbereich einbezogen sein (formelle Dienstbezogenheit). Dies erfordert nicht, daß die Zusammenkunft vom Dienstvorgesetzten selbst veranstaltet wird, es reicht aus, wenn er sie billigt und fördert.

Schließlich muß, um eine dienstunfallrechtlich geschützte Gemeinschaftsveranstaltung annehmen zu können, das Vorhaben in seiner Ausgestaltung von vornherein so geplant sein, daß voraussichtlich alle zu beteiligenden Angehörigen der Dienststelle oder eines abgegrenzten Teils hiervon mitmachen können, d.h. daß ihnen dies zumutbar ist und daß der zuständige Dienstvorgesetzte zustimmen kann (vgl. insoweit – für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung – BSG, Urteil vom 16.5.1984 – 9b RU 6/83 –, BSGE 56, 283 ff.)

Dem Ort und dem Zeitpunkt der Veranstaltung allein kommt jeweils keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluß vom 1.2.1972 – 6 B 42.71 –, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 47; Wilhelm in: GKÖD, Band I, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, O § 31 BeamtVG Rdn. 77). Da in Fällen wie hier (Gemeinschaftsveranstaltung außerhalb des Dienstortes und außerhalb der Dienstzeit) die regelmäßigen Abgrenzungskriterien des Dienstortes und der Dienstzeit versagen, ist einerseits von dem allgemeinen Grundsatz auszugehen, daß die unfallgeschützte Tätigkeit des Beamten im engen natürlichen Zusammenhang mit den eigentlichen Dienstaufgaben oder sonstigen dienstlich notwendigen Verrichtungen oder dem dienstlichen Über- und Unterordnungsverhältnis stehen muß (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.4.1967 – 6 C 96.63 –, Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 32).

Andererseits müssen besondere Umstände festgestellt werden, die den Schluß rechtfertigen, daß die betreffende Tätigkeit des Beamten dem dienstlichen Bereich zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 6.7.1965 – 2 C 39.63 –, BVerwGE 21, 307).

Bei Unfällen im eher privaten Lebensbereich des Beamten müssen für ein Verhalten des Beamten, soll es der unfallgeschützten Sphäre zuzurechnen sein, die Anforderungen des Dienstes ursächlich sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.9.1969 – 2 C 30.66 –, BVerwGE 34, 20/22). Dann, wenn äußere Einwirkung und eigenes Verhalten des Betroffenen bei einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Schadensereignis zusammenwirken, kommt es darauf an, wodurch dieses Ereignis seine Prägung erfährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.2.1971, a.a.O.).

An diesen Maßstäben gemessen war der Unfall der Klägerin vom 11.12.2002 auf der Weihnachtsfeier auf Burg O. in der Zeit zwischen etwa 17.00 und 17:30 Uhr ein Dienstunfall. Bei dieser Feier handelte sich um eine außerhalb des Dienstortes und außerhalb der regulären Dienstzeit von abgegrenzten Teilen – den beiden Sachgebieten VIII und IX – des Finanzamts N. abgehaltene Gemeinschaftsveranstaltung, die ihre entscheidende Prägung durch die dienstliche Sphäre erhalten hatte. Zudem diente das zum „Programm“ der gemeinsamen Weihnachtsfeier gehörende Eislaufen, bei dem die Klägerin stürzte und sich das linke Handgelenk brach, wesentlich dienstlichen Interessen.

Die Weihnachtsfeier am 11.12.2002 diente im Einverständnis mit der Dienstvorgesetzten ausschlaggebend der Verbesserung des Betriebsklimas und der Erhöhung des Verantwortungsbewußtseins der einzelnen Bediensteten der Sachgebiete VIII und IX des Finanzamts N., für die Gemeinschaftsveranstaltung ausgerichtet wurde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus der schriftlichen Stellungnahme der Vorsteherin T. gegenüber der Beklagten vom 13.3.2003 – P 1643-I/100 – (Bl. 16 f. der Beiakte A). Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, die hier in Rede stehende Weihnachtsfeier sei ausschließlich vom autonomen Willen der daran als Privatpersonen beteiligten Bediensteten getragen gewesen. Der materielle und formelle Bezug dieser Feier zur dienstlichen Sphäre des Finanzamts N. wird insbesondere dadurch deutlich, daß die Vorsteherin Steueramtmann S., der das Sachgebiet IX bereits nahezu ein Jahr geleitet hatte und zur Zeit der Weihnachtsfeier gerade als Sachgebietsleiter im Finanzamt Q. erprobt wurde, bat, an der gesamten Weihnachtsfeier stellvertretend für die beiden damals zuständigen, infolge Urlaubs bzw. einer von der Vorsteherin anberaumten Dienstbesprechung verhinderten Sachgebietsleiter teilzunehmen. Mit ihrer Teilnahmebitte an Herrn S. wollte die Vorsteherin unterstreichen, daß sie Weihnachtsfeiern der Sachgebiete des Finanzamts N., die ihres Erachtens keine kollegialen, privaten Zusammenkünfte seien, „im dienstlichen Interesse für wünschenswert und die Teilnahme mindestens einer zuständigen Führungskraft für unerläßlich halte“. Daß bei einem Beteiligungsgrad von etwa 70% an der für die beiden Sachgebiete VIII und IX ausgerichteten Weihnachtsfeier, für die – anders als bei vielen anderen Behörden – nach einer Weisung des Organisationsreferats der Steuerabteilung J. keinerlei Dienstbefreiung erteilt werden durfte, eine dienstunfallrechtlich geschützte Gemeinschaftsveranstaltung angenommen werden kann, unterliegt nach Ansicht des Gerichts keinen Zweifeln.

Das Gericht vermag der Beklagten nicht darin beizupflichten, eine dienstliche Veranstaltung im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG könne im vorliegenden Fall deshalb nicht vorliegen, weil bei der Weihnachtsfeier lediglich das Abendessen gemeinsam eingenommen worden sei, während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Feier zuvor zwischen drei verschiedenen Aktivitäten hätten auswählen können und demzufolge der Gemeinschaftszweck völlig in den Hintergrund getreten sei.

Der Unfallschutz umfaßt alle „Einzelveranstaltungen“, die zum „Programm“ der dem Gemeinschaftszweck dienenden Weihnachtsfeier gehören und zu denen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erkennbar Gelegenheit gegeben werden soll, wie beispielsweise Gesellschaftsspiele, Spaziergänge, Besichtigungen, aber auch Kegeln, Tanzen, sportliche Betätigungen oder Belustigungen (vgl. Wilhelm in: GKÖD, a.a.O., Rdn. 79).

Hier konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor dem gemeinsamen Abendessen zwischen drei verschiedenen Einzelaktivitäten auswählen, was jedoch den Zweck der Förderung der Zusammengehörigkeit nicht entfallen läßt. Zum einen entspricht es der Lebenserfahrung, daß es in Anbetracht der hier in Rede stehenden Teilnehmerzahl mitunter der Kommunikation zwischen einzelnen Bediensteten eher dienlich ist, wenn sie sich zumindest für eine Weile – einen bestimmten „Programmteil“ – innerhalb einer kleineren Gruppe austauschen können.

Zum anderen erhöht ein „Programmteil“ mit begrenzt wählbaren Einzelaktivitäten wie hier den Beteiligungsgrad an der Gemeinschaftsveranstaltung. Sofern nämlich ein Teil der zu beteiligenden Bediensteten eine „reine“ Besichtigung mit anschließendem gemeinsamen Abendessen beschlossen hätte und ein nennenswert anderer Teil aus hinreichend nachvollziehbaren Gründen etwa deswegen nicht hätte mitmachen wollen, weil er vor dem gemeinsamen Abendessen gerade bestimmte sportliche Aktivitäten für sinnvoll und wünschenswert hielt, wäre dies dem Gemeinschaftszweck gerade abträglich gewesen.

Die vor dem gemeinschaftlichen Abendessen angebotenen sportlichen Aktivitäten (Eislaufen einerseits und Eisstockschießen andererseits) waren im Verhältnis zum alternativ wählbaren Programmteil „Besichtigung“ auch nicht etwa so gefährlich, daß ihre Einbeziehung in den Dienstunfallschutz als für den Dienstherrn schlechterdings unzumutbar angesehen werden müßte.

War hiernach die gemeinsame Weihnachtsfeier der Sachgebiete VIII und IX auf Burg O. eine dienstliche Veranstaltung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG, so diente das zum „Programm“ dieser Feier gehörende Eislaufen, bei dem die Klägerin stürzte und sich das linke Handgelenk brach, gleichfalls wesentlich dienstlichen Interessen. Dafür, daß das Verhalten der verunfallten Klägerin im vorliegenden Fall in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend gewesen wäre, daß die dadurch geschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu werten wäre, ist schlechterdings nichts ersichtlich, zumal die Klägerin – wie auch die Beklagte nicht in Abrede stellt – im Unfallzeitpunkt unstreitig nicht alkoholisiert war.