Mit dem Urteil des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Mainz, vom 07.09.2012 (6 Sa 709/11) liegt keine diskriminierende Ungleichbehandlung vor, wenn der Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern mehr Urlaub als jüngeren Arbeitnehmern gewährt.

Aus den Gründen:

b) Der Antrag ist in der Sache nicht begründet. Der Klägerpartei hat kein Recht auf weitere zwei jährliche Erholungsurlaubstage in ergänzender Auslegung des Arbeitvertrags i.V.m. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG.

aa) Dabei kann zugunsten der Klägerseite unterstellt werden, dass die Gewährung von 34 Arbeitstagen jährlichen Urlaubs nach Ziff. 2 des Arbeitsvertrags im Fall einer ungerechtfertigt altersdiskriminierenden Jahresurlaubsbemessung in ergänzender Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG zu einer Anpassung nach oben führt (vgl. BAG 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 29 f., NZA 2012, 803).

bb) Entgegen der Annahme der Klägerseite liegt jedoch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.

(1) Die Urlaubsregelung der Parteien unterfällt als Regelung über Beschäftigungs- und Arbeitsbedingung in den Anwendungsbereich des AGG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. § 33 AGG enthält auch für zurückliegend abgeschlossenen Verträgen sieht keine Bereichsausnahme (BAG 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 12, 32, a.a.O.).

(2) Die Klägerseite hat hinreichende Anhaltspunkte für eine altersbezogenen Ungleichbehandlung i.S.d. §§ 3, 1, 7 und 22 AGG vorgebracht.

(a) Geringere Urlaubsumfänge pro Jahr für jüngere gegenüber älteren Arbeitnehmern bedeuten eine unmittelbar benachteiligende, weil aus sich heraus weniger begünstigende Behandlung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG als sie einer anderen Person widerfährt oder widerfahren würde, die allein auf dem Vorliegen des in § 1 AGG genannten Grundes i.S.d. Alters beruht (§ 7 Abs. AGG). Die Klägerseite hat insofern unbestritten vorgebracht, dass im Betrieb Arbeitnehmer ab Vollendung des 58. Lebensjahres 36 Arbeitstage Erholungsurlaub gewährt erhalten. Da sich die unterschiedliche Behandlung schon aus der im Betrieb geltenden Regelhaftigkeit ergibt, kommt es auf die Nennung konkreter Vergleichspersonen nicht weiter an (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 3).

(b) Die klägerseits in der Berufungsverhandlung ergänzten Umstände ließen die Regelhaftigkeit nicht wieder in Zweifel gestellt erscheinen. Aus dem Urlaubsvollzug gegenüber der geringfügig beschäftigten Frau X war mangels konkreten Urlaubsbegehrens kein abweichendes Regelverhalten zu entnehmen. Auch die für Frau W geschilderte 35-tägige Urlaubsgewährung bei Vollendung des 58. Lebensjahres in der zweiten Kalenderjahrshälfte konnte mit dem klägerseits vorgebrachten Schema noch in Verbindung gebracht werden. Gleiches galt mangels konkreter Anhaltspunkte dazu, aufgrund welcher besonderen Umstände der von Klägerseite nicht weiter benannte Beschäftigte bei Vollendung des 57. Lebensjahres schon einen 35. Urlaubstag gewährt erhalten haben sollte, auch für jenen Fall.

(3) Ein zweitägiger Mehrurlaub für über 58-Jährige dient der Sicherstellung des Schutzes der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in objektiv, angemessen legitimer Weise i.S.d. § 10 Satz 1 und 3 Nr. 1 AGG.

(a) Unterschiedliche Behandlungen Beschäftigter können durch besondere Beschäftigungs- und Arbeitsbedingen – wie vorliegend die Urlaubsgewährung – zur Sicherstellung des beruflichen Schutzes älterer Beschäftigter in legitimer Weise bezweckt werden. § 10 Satz 1, 3 Nr. 1 AGG dient dem generellen Beschäftigungs- nicht bloß einem eingeschränkten Eingliederungsschutz (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 10 Rn. 26).

(b) Ältere Arbeitnehmer sind nach Ziff. I Nr. 1 (1) und (3) der ILO-Empfehlung Nr. 162 vom 23. Juni 1980 Arbeitnehmer, die wegen ihres zunehmenden Alters auf Schwierigkeiten in Beschäftigung und Beruf stoßen können. Die Europäische Union hat in Leitlinie 17 der Entscheidung des Rates vom 12. Juli 2005 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten 2005/600/EG (Abl. L 205 S. 21) als ältere Arbeitnehmer i.d.S. Arbeitskräfte über 55 Jahre angesehen (Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 25). Das Bundesarbeitsgericht verweist vor dem Hintergrund des zum Ausgleich eingeschränkter Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt geltenden § 417 SGB III auf eine Grenze des vollendeten 50. Lebensjahres (BAG 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 20, NZA 2012, 803). Die WHO-Studiengruppe Altern und Arbeit nahm aus 1991 aus arbeitsmedizinischer Sicht wegen auftretender Schwierigkeiten in Arbeit und Beruf eine Grenze ab dem 45. Lebensjahr an (WHO Technical Report Series 835 Aging and Working Capacity – dt. Übersetzung Altern und Arbeit 1994 S. 9 f.). Die gegenwärtigen Diskussionen um die arbeitspsychologische und -medizinische Beurteilung alternsgerechten Arbeitens bezeichnen Grenzwerte in gleicher Altersspanne (vgl. Lehr NZA-Beil 1 2008 S. 3, 4; Dunkel-Benz ebd. S. 25). Über 58-Jährige sind danach in jedem Fall ältere Arbeitnehmer.

(c) Ein erhöhtes Jahresurlaubsdeputat sichert die berufliche Beschäftigung älterer Menschen.

(aa) Generell gilt ein gerichtlicher Erfahrungssatz, dass die physische Belastbarkeit eines Menschen mit zunehmendem Alter abnimmt (BAG 13.10.2009 – 9 AZR 722/08 – Rn. 47, NZA 2010, 327; BGH 7.5.1974 – VI ZR 10/73 – zu II 2 der Gründe, NJW 1974, 2280). Dieser Erfahrungssatz betrifft auch den Wirkungszusammenhang von erreichtem Lebensalter und Krankheitsanfälligkeit (BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07 – Rn. 54, NZA 2009, 361).

(aaa) Hinter einem solchen Erfahrungssatz steht die arbeitsmedizinische Erkenntnis eines um ca. 30% jenseits des 50. Lebensjahres verminderten Belastbarkeits- und Gesundheitszustands, namentlich aufgrund Skelett-, Muskel-, Lungen-, Herz- und Sinnesfunktionseinbußen (WHO Technical Report Series 835 Aging and Working Capacity – Altern und Arbeit 1994 S. 20 ff.; Dunkel-Benz NZA-Beil 1 2008 S. 25 ff.; Lehr ebd. S. 3, 7; Winkels Demographischer Wandel: Herausforderungen und Chancen für Personalentwicklung und betriebliche Weiterbildung S. 63 ff.; Lange Verhaltensdispositionen älterer Arbeitnehmer im Zeichen des demographischen Wandels S. 35 f.; u.a.). Trotz individueller Unterschiede handelt es sich um einen für jede Person lebensbegleitenden Prozess, der die Fähigkeit zu körperlicher Höchstleistung verringert, Hör- und Sehfähigkeit schmälert und Reaktionsfähigkeiten, Bewegungskoordination und Geschicklichkeiten mindert (Kollmer/Klindt/Schmidt ArbSchG Syst A Rn. 72 ff.).

(bbb) Die Klägerseite stellt diesen Erfahrungssatz auch mit der Berufung nicht konkret in Abrede. Sie meint lediglich, die Erfahrungswerte seien vor dem Hintergrund einer Zäsur zwischen dem 55, 56, 57 und 58 Lebensjahr unergiebig und richtigerweise vor dem Hintergrund individuell unterschiedlicher Leistungsfähigkeit zu treffen. Da dies die allgemeine Erfahrung nicht in Abrede stellt und auch die dargelegten arbeitsmedizinischen Einschätzungen in der Sache nicht negiert, konnte es nur bei der Frage der Gebotenheit einer am konkreten Lebensjahr anknüpfenden Unterscheidung berücksichtigt werden. Weitere sachverständige Aufklärung des allgemeinen Befundes war zudem nach Einschätzung der Kammer für den allseits literarisch geteilten Erfahrungssatz nicht weiter geboten.

(ccc) Die Beklagtenseite machte sich die schon vom Arbeitsgericht herangezogenen Erfahrungswerte spätestens mit Verteidigung des angegriffenen Urteils zu eigen und bezog ihn auf die Beschäftigungssituation im Betrieb aufgrund des, auch in zweiter Instanz unbestritten gebliebenen Beklagtenvorbringens, Beschäftigte leisten bei der Schuhfertigung körperlich ermüdende und teils schwere Arbeiten.

(bb) Die von Beklagtenseite damit verbundene Folgerung, dass nach der Lebenserfahrung eine stärkere Ermüdung älterer Menschen über das Jahr betrachtet längere Erholungsphasen verlangt, als für jüngere, ist bei – im Hinblick auf die bei betrieblicher Normsetzung gebotener – typisierender und regelhafter Betrachtungsweise ein Fall ausnahmsweise hinreichender Rechtfertigung für verlängerte Erholungsurlaubszeiten, und zwar zum Schutz der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer vor übermäßiger Beanspruchung i.S.d. § 10 Satz 1 und 3 Nr. 1 AGG.

(aaa) Die verlängerte Urlaubsgewährung verhilft älteren Beschäftigten bei genereller Betrachtung zur Absicherung ihrer Erwerbsfähigkeit. Es entspricht arbeitsmedizinischer Einschätzung, dass „langdauernde physische Überforderung“ und „chronischer Zeitdruck“ zu den „Killern“ älterer Mitarbeiter zählen (Dunkel-Benz NZA-Beil 1 2008 S. 25). Der Überforderung kann arbeitsmedizinischer Ansicht nach mit einer verringerten Dauer der Arbeitszeit abgeholfen werden (WHO Technical Report Series 835 Aging and Working Capacity – Altern und Arbeit 1994 S. 30). Eine elementare Entlastung von der Arbeitszeit geschieht dabei auch in Gestalt des bezahlten Erholungsurlaubs. Unionsrechtlich ist der Urlaub deshalb in die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG einbezogen als eine Phase, die Arbeitnehmern ermöglichen soll, sich zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH 21.6.2012 – C-78/11 – ANGED, Nr. 19). Die ILO-Empfehlung Nr. 162 vom 23.6.1980 nennt in Ziff. III Nr. 14 Buchst. b und c sowohl die Verkürzung der Arbeitszeit als auch die Verlängerung des bezahlten Jahresurlaub in Referenz zum zunehmenden Lebensalter als betrieblich probates Mittel zum Schutz der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.

(bbb) Diese Erwägungen erfassen auch die Begünstigung im Betrieb der Beklagten. Die produzierende Tätigkeit erfolgt dort unter körperlicher Anstrengung und Ermüdung sowie – auch nach Schilderung der Klägerseite – im Rahmen von besonderem, prämienbezogenem Zeit- und Qualitätsdruck i.S. eines Teamakkords. All dies lässt an physischen und psychischen Belastungsfaktoren im vorgenannten Sinn keinen nennenswerten Zweifel.

(ccc) Die Schutzerwägungen sind auch nicht „sachfremd“, wie die Klägerseite meint, sondern fügen sich in eine vom Arbeitgeber nach § 241 BGB i.Vm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG zu gewährleistende Gesundheitsfürsorge. Sie erscheint auch vor dem Hintergrund sozialer Belastungen jüngerer Menschen aus Familie und Beruf geboten. Denn weder lässt sich generalisierend annehmen, ältere Menschen seien mit Sozialbelastungen aus Großeltern- und / oder Witwenschaft, Pflegeverpflichtungen u.ä. nicht vergleichbar belastet wie jüngere Menschen, noch unterliegen Jüngere den physischen Einschränkungen des Alterungsprozesses.

(4) Die sonach legitime Zielverfolgung geschieht mit zwei Mehrurlaubstagen im Kalenderjahr in angemessenem sowie erforderlichem Umfang i.S.d. § 10 Satz 2 AGG.

(a) Die Altersgrenze von 58 Jahren ist nicht – wie von Klägerseite unter Hinweis auf ähnliche gesundheitliche Lagen mit 57, 56 oder 55 Jahren gemeint – willkürlich, sondern in normativer Betrachtung unter Anknüpfung an die bei vertragliche Verankerung der Urlaubsansprüche im Betrieb unter dem Jahr 2000 aufgrund der seinerzeit geltenden Altersbestimmungen zur Annahme einer besondere Gefährdungslage älterer Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt für geboten und angemessen zu erachten. Mit der Vollendung des 58. Lebensjahres waren Arbeitslose nach § 428 Abs. 1 i.V.m. § 119 SGB III in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs und anderer Gesetzes vom 22.12.2005 (BGBl. I S. 3676) vom Merkmal des Nachweises der Verfügbarkeit und Arbeitsbereitschaft für den allgemeinen Arbeitsmarkt entbunden. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass ab diesem Alter kaum mehr Vermittelbarkeitsaussichten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden (BT-Drucks 10/4211 S. 17). Ebenso galt ab gleichem Alter sowie unter der ähnlich gelagerten gesetzgeberischen Erwägung, dass der Anteil der Altersgruppe ab 58 bei Zugang in die Arbeitslosigkeit besonders groß sei, eine generelle Entbindung vom Sachgrunderfordernis bei befristeten Arbeitsverträgen gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. (BT-Drucks 14/4374 S. 20). Da die Änderung beider Normenkomplexe nicht tragend auf veränderten Gefährdungslagen am Arbeitsmarkt, sondern veränderten versicherungs- wie befristungsrechtlichen Erwägungen verpflichtet war (vgl. Mutscheler/ Bartz/ Schmidt-de Caluwe/ Siefert SGB III 3. Aufl. § 428 Rn. 1 ff. einerseits; Dörner Der befristete Arbeitsvertrag 2. Aufl. Rn. 508 ff. andererseits), kann daraus für die normativen Richtigkeit der zugrunde liegenden Schutzpflichterwägung kein Anhalt entnommen werden. Auch die zuletzt beobachtbare Veränderung in der Beschäftigungslage über 58-Jähriger (BT-Drucks. 17/2271 S. 111 ff.) vermochten die allgemeine Gefährdungseinschätzung schon vor dem Hintergrund zeittypischer Varianzen am Arbeitsmarkt nicht entgegenzuwirken.

(b) Eine Mehrurlaubsdauer von zwei Tagen verhält sich im angemessenen und nicht unverhältnismäßigen Umfang, um dem erstrebten Zweck zu dienen. Der Wert liegt in der Mitte zwischen der bei verminderter Erwerbsfähigkeit (ab GdE 25) in teilweise gesetzlichen wie tariflichen Urlaubsregelungen verordneten Mehrurlaubsdauern von drei zusätzlichen Tagen jährlich (Saarl ZUrlG i.d.F.v. 23.6.1999, Amtsbl. 1999, S. 1263; BZTV BW Nr. 2 gemäß BAG 24.2.2010 – 4 AZR 708/08 – AP TVÜ § 2 Nr. 2) – die dem gleichförmigen normativen Regelungsinteresse verpflichtet sind, naturbedingt verringerter Leistungsfähigkeit entgegenzuwirken -, sowie dem generell schon aus puren Sachgrunderwägungen für gerechtfertigt erachteten einem Tag (so etwa Wiedemann/Thüsing NZA 2002, 1234, 1239). Der von Klägerseite hiergegen angeführte Vergleich mit der einheitlichen Regelung im Bundesurlaubsgesetz verfängt schon aufgrund dessen Mindestcharakters nicht und übersieht namentlich Zusatzurlaubsrechte für schwerbehinderte Menschen in § 125 SGB IX (u.a.). Aufgrund der diversen alternativen Beurlaubungsmöglichkeit für jüngere, familiär verpflichtete Menschen (§§ 15 f. BEEG, § 45 SGB V, § 616 BGB usw.) liegt gegenüber älteren, die wegen gesundheitlich nachlassenden Kräften keine vergleichbaren Arbeitsbefreiungsmöglichkeiten besitzen, eine wesentliche Ungleichbehandlung gerade nicht vor. Im Übrigen wird die Marginalität des Mehrurlaubsumfang schon allein aus dem Vergleich der zwischen einzelnen Bundesländern unterschiedlich gestaffelten gesetzlichen Feiertagsumfänge ersichtlich.