LArbG Mainz, Urteil vom 09.12.2010, 10 Sa 483/10
In dem zugrundeliegenden Verfahren stritten die Parteien über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen des Beklagten, die Berechtigung zweier Abmahnungen sowie über die Frage, ob der Kläger berechtigt ist, bei den Gästen zu kassieren und das Trinkgeld zu behalten.
Das Landesarbeitsgericht Mainz befand, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Arbeitsanweisung im Wege des Direktionsrechts nicht verbieten, dürfe/könne bei den von ihm bedienten Kunden selbst zu kassieren und das ihm gegebene Trinkgeld zu behalten. Das habe das Arbeitsgericht so auch zutreffend festgestellt.
Der Arbeitgeber könne nach § 106 Satz 1 GewO gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt seien. Das Weisungsrecht betreffe insbesondere die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Der Arbeitgeber dürfe in Ausübung seines Weisungsrechts grundsätzlich bestimmen, welche Art von Leistungen der Arbeitnehmer zu erbringen habe. Es ermögliche dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen oder auch zu entziehen. Stets müsse der Arbeitgeber bei Weisungen billiges Ermessen walten lassen (vgl. unter vielen: BAG Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 606/03 – NZA 2009, 1011, m.w.N.).
Die Berufung weise zutreffend darauf hin, daß allein der Umstand, daß der Kläger seit Beginn seiner Tätigkeit als Kellner im November 1992 und damit während der Dauer von 17 Jahren bei den von ihm bedienten Gäste selbst habe kassieren dürfen, die Berechtigung des Beklagten nach § 106 Abs. 1 GewO nicht ausschließe, dem Kläger diese Aufgabe zu entziehen. Dies habe das Arbeitsgericht auch nicht angenommen, sondern im Gegenteil darauf hingewiesen, daß allein daraus, daß eine betriebliche Regelung über einen längeren Zeitraum hinweg beibehalten werde, ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den Willen des Arbeitgebers schließen könne, diese Regelung auch künftig unverändert beizubehalten. Eine Änderung der ursprünglich vereinbarten Rechte und Pflichten durch sogenannte Konkretisierung in einen einseitig nicht veränderlichen Vertragsinhalt trete nicht allein dadurch ein, daß der Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt worden sei. Zum reinen Zeitablauf müßten besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen würden, daß der Arbeitnehmer nur noch verpflichtet sein soll, seine Arbeit unverändert zu erbringen (vgl. unter vielen: BAG Urteil vom 15.09.2009 – 9 AZR 575/08 – AP Nr. 7 zu § 106 GewO, m.w.N.).
Die Berufungskammer teile die Ansicht des Arbeitsgerichts, das solche besonderen Umstände im vorliegenden Fall gegeben seien, weil dem Kläger mit dem Entzug der Kassiertätigkeit die Chance genommen werde, von den Gästen Trinkgelder zu erhalten. Durch diese Trinkgelder erziele der Kläger – nach seinem unbestrittenen Vorbringen – erhebliche Netto-Einkünfte in Höhe von monatlich € 500,00, die ihm der Beklagte nicht einseitig entziehen dürfe.
Nach der Legaldefinition in § 107 Abs. 3 Satz 2 GewO ist Trinkgeld ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt. Nach § 3 Nr. 51 EStG in der seit 2002 geltenden Fassung (Gesetz zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern vom 08.08.2002, BGBl I 2002, 3111) sind Trinkgelder in unbegrenzter Höhe steuerfrei, die anläßlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne daß ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist. Erhält das Bedienungspersonal vom Gast neben dem Rechnungsbetrag freiwillig ein Trinkgeld, so steht ihm dieses unmittelbar zu (vgl. ErfK/ Preis, 11. Aufl., § 611 BGB Rn. 511). Der Beklagte sei deshalb nicht berechtigt, einseitig zu bestimmen, daß das Trinkgeld von der Geschäftsleitung zu kassieren und anschließend unter dem Personal zu verteilen sei.
Wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt habe, sei vom Trinkgeld zu unterscheiden das Bedienungsgeld. Kellner und andere Hotelangestellte erhielten häufig außer einem festen Garantielohn ein Bedienungsgeld, das als Bedienungszuschlag vom Gast erhoben und dem Arbeitnehmer überlassen werde. Es ist auf den Garantielohn anzurechnen. Dabei stehe das Bedienungsgeld dem Arbeitgeber (dem Wirt) zu, der Arbeitnehmer kassiere es nur ein und habe es grundsätzlich abzuführen. Ihm stehe dann ein Lohnanspruch gegen den Wirt als seinem Arbeitgeber zu. Das Bedienungsgeld sei eine Schuld des Arbeitgebers. Dagegen gehe das Trinkgeld (als „Geschenk“ des Gastes) in der Regel unmittelbar in das Eigentum des Arbeitnehmers über (Neumann in Landmann/ Rohmer, GewO, Stand Februar 2003, § 107 Rn. 53).
Trinkgelder gehörten arbeitsrechtlich nicht zum Arbeitsentgelt, weil sie als persönliche Zuwendung aus einer bestimmten Motivationslage freiwillig von Dritten erbracht würden. Sie gehörten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts daher für Zeiten des Urlaubs, der Arbeitsunfähigkeit und der Betriebsratstätigkeit nicht zum vom Arbeitgeber fortzuzahlenden Arbeitsentgelt (BAG Urteil vom 28.06.1995 – 7 AZR 1001/94 – NZA 1996, 252). In Übereinstimmung damit verstehe auch der Bundesfinanzhof unter Trinkgeld eine freiwillige und typischerweise persönliche Zuwendung an den Bedachten als eine Art honorierende Anerkennung seiner dem Leistenden gegenüber erwiesenen Mühewaltung in Form eines kleineren Geldgeschenks. Dem Begriff des Trinkgeldes sei als Zeichen der besonderen Honorierung einer Dienstleistung über das vereinbarte Entgelt hinaus ein Mindestmaß an persönlicher Beziehung zwischen Trinkgeldgeber und Trinkgeldnehmer grundsätzlich immanent.
Charakteristisch dafür sei, daß in einem nicht unbedingt rechtlichen, jedenfalls aber tatsächlichen Sinne Geldfluß und honorierte Leistung korrespondierend einander gegenüberstehen würden. Das Trinkgeld und die damit „belohnte“ Dienstleistung kämen dem Arbeitnehmer und dem Kunden unmittelbar zugute. Der Trinkgeldempfänger stehe faktisch in einer doppelten Leistungsbeziehung und erhalte entsprechend dazu auch doppeltes Entgelt, nämlich das Arbeitsentgelt seitens seines Arbeitgebers und das Trinkgeld seitens des Kunden (BFH Urteil vom 18.12.2008 – VI R 49/06 – DB 2009, 207, m.w.N.).
Angesichts dieser Sach- und Rechtslage könne der Arbeitgeber nicht einseitig bestimmen, daß der Arbeitnehmer das Trinkgeld, das ihm die Gäste persönlich zuwenden würden, in eine Gemeinschaftskasse einzahle und anschließend mit dem übrigen Personal teile. Er könne die von ihm gewünschte Aufteilung des Trinkgeldes unter dem Personal nicht – gewissermaßen durch die Hintertür – dadurch erzwingen, daß er dem Arbeitnehmer nicht mehr erlaube, selbst bei den Gästen zu kassieren.