Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 18.072012 (7 AZR 443/09) das mehrfache Verlängern befristeter Verträge (hier 13 auf einander folgende Vertragsverlängerungen in 11 Jahren) erschwert und ausgeführt, daß bei einer Verlängerung mit einer erneuten Befristung genau zu prüfen sei, wie oft und wie lange bereits verlängert worden sei. Unter besonderen Umständen könne die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein.

Pressemitteilung Nr. 54/12

Die Befristung eines Arbeitsvertrags könne trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmißbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauchs könnten insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG sei die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei. § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nenne beispielhaft derartige Sachgründe. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liege ein sachlicher Grund vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt werde. Dem Sachgrund der Vertretung stehe nach der Rechtsprechung des Siebten Senats auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend sei allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorgelegen habe. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließe den Sachgrund der Vertretung nicht aus.

Das Gericht hatte allerdings Bedenken, ob es aus Gründen des Unionsrechts gehindert sei, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Es hatte deshalb mit Beschluß vom 17. November 2010 – 7 AZR 443/09 (A) – den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar sei, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf bestehe, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.

Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26. Januar 2012 – C-586/10 –

[Kücük], der Umstand, daß ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, stehe weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folge daraus das Vorliegen eines Mißbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Die nationalen staatlichen Stellen müßten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Mißbrauch geben könnten, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern solle. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Hiervon ausgehend entschied das Bundesarbeitsgericht, daß das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegenstehe, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden könne. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspreche den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmißbrauchs.

An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmißbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen. Es seien dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Das Bundesarbeitsgericht hob daher ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln auf, das die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte. Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an.

Für diese Befristung habe zwar der Sachgrund der Vertretung vorgelegen. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprächen aber dafür, daß das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmißbräuchlich ausgenutzt hat. Das Bundesarbeitsgericht konnte der Klage dennoch nicht stattgeben. Der Rechtsstreit war vielmehr an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmißbrauchs entgegenstehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 443/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 15. Mai 2009 – 4 Sa 877/08 –

Dagegen wies der Siebte Senat des Bundesarbeitsgericht – wie schon die Vorinstanzen – die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1. März 2002 bis zum 30. November 2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers.

Die Befristung sei nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt gewesen. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gäbe es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauchs.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 783/10 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. August 2010 – 5 Sa 196/10 –