Landesarbeitsgericht Hamm Urteil vom 27.04.2000 4 Sa 1018/99:

Unter Führungsleistung als Grundelement des qualifizierten Zeugnisses werde die Qualität der Mitarbeiterführung eines Vorgesetzten verstanden. Je nach Führungsebene sei eine Reihe von Merkmalen wichtig. Sehr wichtig bei der Beurteilung des Führungsergebnisses sei, daß sowohl zur Auswirkung der Führung auf die Motivation der Mitarbeiter (Betriebsklima) als auch zur Auswirkung auf die Mitarbeiterleistung (Abteilungsergebnis) Stellung genommen werde. Die Senkung der Fluktuationsrate oder Abwesenheitsquote lasse auf ein gutes Betriebsklima schließen. Stets zu beurteilen sei die Durchsetzungskraft der Führungskraft, denn fehlendes Durchsetzungsvermögen ist ein Zeichen von Führungsschwäche.

Die berühmte Formulierung: „wir hatten Gelegenheit ( kennenzulernen“, bedeute in puncto Leistung die Note »ungenügend«). Gleiches gelte, wenn es um die Bewertung der Zuverlässigkeit gehe.

Wenn auch die von der Arbeitgeberin gewählte Formulierung „wir haben Frau X. als eine freundliche und zuverlässige Mitarbeiterin kennengelernt“, sich nicht abwertend anhöre, werde der Arbeitnehmerin damit jedoch gerade nicht bescheinigt, daß sie eine tatsächlich „freundliche und zuverlässige Mitarbeiterin“ gewesen sei, denn der Gebrauch des Wortes „kennengelernt“ drücke stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeit oder Eigenschaft aus, wie von Seiten der Germanisten in einer ganzen Reihe von Schriften mit Untersuchungen zur Zeugnissprache eindrucksvoll belegt worden sei.

Wie schwer die jeweiligen Formulierungen in Klartext übersetzbar seien, hänge von der Art der Verschlüsselung und von den Vorkenntnissen des Beurteilten oder Deutenden ab. Je geringer das Vorwissen des Beurteilten oder Deutenden sei, desto eher werde er den in ihrer alltagssprachlichen Bedeutung harmlos oder positiv klingenden Formulierungen aufsitzen. Vielfach bedeute Lob in Wahrheit Kritik. Da die Beklagte der Klägerin hier aber nichts Negatives habe bescheinigen wollen, sei zu formulieren gewesen, daß die Klägerin „eine freundliche und äußerst zuverlässige Mitarbeiterin“ gewesen sei.

Es sei ferner vielfach üblich, als Abschluß eines Zeugnisses eine Dankes-Bedauern-Formel mit Zukunftswünschen anzubringen. Der Dank für geleistete Arbeit und/oder Bedauern über das Ausscheiden (den Verlust) des Mitarbeiters, werde vereinzelt noch durch eine Würdigung bleibender Verdienste, eine ausdrückliche Einstellungsempfehlung, ein Wiedereinstellungsversprechen oder die Bitte um Wiederbewerbung nach Abschluß der Weiterbildung ergänzt. Aus der Tatsache, daß die Dankes-Bedauern-Formel nicht in jedem Zeugnis enthalten sei, werde gefolgert, daß ihr besonderes Gewicht zukomme. Es soll als Einschränkung einer guten Leistungsbeurteilung wirken, wenn im Schlußabsatz dem Mitarbeiter nicht gedankt und/oder sein Ausscheiden nicht bedauert werde, das Fehlen der Zukunftswünsche sei wie ein grußloser Abschied, der auf eine tiefgreifende Verärgerung oder Verstimmung schließen lasse. Zumindest bei Mitarbeitern in höheren Positionen solle das Fehlen der Schlußformel einem beredten, ja vielsagenden Schweigen gleichkommen, womit – bewußt oder unbewußt – deutlich negative Signale gesetzt würden. Werde eine Schlußformel verwendet, müsse sie mit der Leistungs und Führungsbewertung des Arbeitnehmers übereinstimmen, denn (zuvor) unterlassene negative Werturteile dürften nicht versteckt mit einer knappen, „lieblosen“ Schlußformel nachgeholt werden. Vorliegend habe die Beklagte im Zeugnis der Klägerin keine solche Schlußfloskel verwendet. Angesichts des Parallelverfahrens 4 Sa 1070/99 umgekehrten Rubrums, in welchem die Beklagte des vorliegenden Zeugnisrechtsstreits Schadensersatz mit der Begründung verlangt habe, die Klägerin habe Kundendaten aus der EDV herausziehen lassen und diese Daten an die Konkurrenz weitergegeben, könne vorliegend eine Schlußformel nicht mit Erfolg durchgesetzt werden. Hätte die Beklagte die von der Klägerin gewünschte Schlußformel verwendet, hätte sie das erteilte widerrufen können.

anderer Ansicht: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. November 2011, 9 AZR 386/10; PM)