Mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg Urteil vom 23.12.2011 (6 Sa 1941/11) haben Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Überstundenvergütung, wenn der Arbeitgeber von der Mehrarbeit Kenntnis hat und diese duldet. Das gelte auch, wenn nur die direkten Vorgesetzten, nicht aber die Geschäftsführerin über die Überstunden informiert gewesen sei. In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte die seinerzeitige Klägerin – ebenso wie ihre Kollegien – ihre Arbeitszeit in einer Excelldatei festgehalten, die von dem direkten Vorgesetzten angelegt worden war. Dies machte einen weiteren Vergütungsanspruch in Höhe von 4.369,57 € brutto aus.

Im einzelnen:

Die Klägerin hatte aufgrund Arbeitsvertrags vom 10. Juni 2009 in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 30. September 2010 als Mitarbeiterin in der Wohnungswirtschaft in den Diensten der Beklagten gestanden. Ihr Monatsgehalt von zunächst 2.000,00 € brutto wurde gemäß Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 2010 ab diesem Monat um 200,00 € erhöht.

Die Klägerin nahm die Beklagte, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, auf der Grundlage sog. Anwesenheitslisten auf Zahlung von Vergütung von insgesamt 378,57 Überstunden während der gesamten Zeit ihres Arbeitsverhältnisses in Anspruch.

Das Arbeitsgericht Berlin hatte die Beklagte nach Erlaß eines Anerkenntnisteilurteils über 220,00 € brutto Urlaubsabgeltung zur Zahlung von 4.830,52 € brutto nebst Verzugszinsen verurteilt. Zur Begründung hatte es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe dargetan, bei ihrer Einstellung von ihrem Vorgesetzten aufgefordert worden zu sein, Arbeitsbeginn und -ende in die im Computer hinterlegte Anwesenheitsliste einzutragen. Durch das Programm seien die tägliche Arbeitsstundenzahl und unter Berücksichtigung von Pausenzeiten die täglichen Mehrarbeitszeiten errechnet worden. Da sich die Beklagte das Verhalten des Vorgesetzten der Klägerin habe zurechnen lassen müssen, sei von einer Duldung der erbrachten Überstunden auszugehen. Die Darstellung der Klägerin gelte als zugestanden, weil die Beklagte ihr nicht substantiiert entgegengetreten sei. Es sei nicht vorstellbar, daß die Klägerin die Listen für sich selbst und die anderen drei Mitarbeiter fingiert hätte.

Gegen dieses ihr am 23. August 2011 zugestellte Urteil richtete sich die am 23. September 2011 eingelegte und am 24. Oktober 2011, einem Montag, begründete Berufung der Beklagten. Sie hielt die Klage für unschlüssig, weil die Klägerin trotz ihres Bestreitens nicht im einzelnen dargelegt habe, welche Tätigkeiten sie in den vermeintlichen Überstunden ausgeführt habe. Nur so könne geprüft werden, ob die Klägerin in der Lage gewesen wäre, die ihr zugewiesenen Arbeiten innerhalb der regulären Arbeitszeit zu erledigen oder ob die behaupteten Überstunden tatsächlich betriebsnotwendig gewesen seien. Selbst die Entgegennahme einer Zeiterfassungsübersicht des Arbeitnehmers führe zu keiner Umkehr oder Abstufung der Darlegungslast dergestalt, daß der Arbeitgeber darlegen müsse, zu welchen Anwesenheitszeiten der Arbeitnehmer nicht gearbeitet habe. Ihre Geschäftsführer hätten von der auf dem allgemeinen Server hinterlegten Liste noch nicht einmal Kenntnis gehabt. Zudem habe sie bereits erstinstanzlich bestritten, daß sich ihre anderen Mitarbeiter ebenfalls in diese Liste eingetragen hätten, und behauptete, daß die Klägerin durchaus in der Lage gewesen sei, die geschuldete Arbeit im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit von 40 Wochenstunden zu leisten.

Mit Schriftsatz vom 28. November 2011 brachte die Beklagte weiter vor, der einen Monat nach der Klägerin eingestellte Auszubildende habe kein einziges Mal feststellen können, daß die Klägerin länger gearbeitet habe als dieser selbst. Die Klägerin widersprach einer Vernehmung des daraufhin vorsorglich geladenen Zeugen wegen Verspätung. Das Gericht vernahm

Das Landesarbeitsgericht ging davon aus, daß sich die Klägerin unter Ausklammerung der Pausen von Juli 2009 bis April 2010 insgesamt 301,67 Stunden und von Mai bis September 2010 insgesamt 70 Stunden über ihre reguläre Arbeitszeit hinaus im Betrieb der Beklagten aufgehalten habe. Diese Zeiten ergäben sich bei richtiger Addition der in den ausgedruckten Anwesenheitslisten für die einzelnen Monate ausgewiesenen Stunden.

Daß die monatlichen Anwesenheitslisten nicht etwa von der Klägerin selbst gefertigt worden seien, sondern auf Weisung ihres Vorgesetzten von allen Mitarbeitern durch kontinuierliche Eingabe von Arbeitsbeginn und –ende zustande gekommen seien, sei von dem als Zeugen gehörten Auszubildenden bestätigt worden. Mit seiner Weisung hätte der Vorgesetzte gerade der Verpflichtung der Beklagten aus § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG entsprochen, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden nach § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer aufzuzeichnen.

Der Zeuge habe auch bestätigt, daß alle Mitarbeiter Überstunden geleistet hätten und daß die Klägerin gelegentlich schon vor ihm im Büro gewesen und erst nach ihm gegangen sei, womit die gegenteilige Behauptung der Beklagten widerlegt sei. Soweit der Zeuge geschildert habe, man habe bisweilen nach Ende der Arbeit noch zehn Minuten oder länger bei Kaffee, Cola und Keksen zusammen gesessen, habe er schon nicht anzugeben vermocht, ob sich die Klägerin erst danach ausgetragen habe, wie er dies zum Teil gemacht haben will. Zudem wäre dies dadurch kompensiert worden, daß nach glaubhafter Darstellung der Klägerin im Verhandlungstermin an manchen Tagen nicht einmal Zeit für eine halbe Stunde Pause gewesen sei. Eine sich daraus bisweilen ergebende Arbeitszeit von fast 13 Stunden liege keinesfalls außerhalb der Realität des Arbeitslebens (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2002 – 5 AZR 644/00 –).

Soweit es nach Schilderung des Zeugen möglich gewesen sein soll, stundenweise der Arbeit fernzubleiben, um private Dinge zu erledigen oder Überstunden abzubummeln, wie dies bei der Klägerin vielleicht vier oder fünf Mal in den letzten vier bis fünf Wochen vorgekommen sein soll, ließ dies in dieser Allgemeinheit keine für die Beklagte günstigen Rückschlüsse zu. Zudem habe der Vorgesetzte der Klägerin gegen die Richtigkeit ihrer Eintragungen offenbar keine Einwände erhoben oder eine Korrektur verlangt. Dazu hätte jedoch Anlaß bestanden, um nachhalten zu können, wie viele Überstunden der Klägerin noch zum Abbummeln verblieben.

Daß die Klägerin etwa nachträglich ihre Eintragungen zu ihren Gunsten geändert habe, sei mit Rücksicht darauf, daß die vom Vorgesetzten geschaffene Excel-Tabelle nicht schreibgeschützt gewesen seien, zwar theoretisch möglich. Dies sei jedoch nicht anzunehmen, weil damit ein erhebliches Überführungsrisiko mit strafrechtlichen Konsequenzen verbunden gewesen wäre, wenn der Vorgesetzte sich etwa die Listen monatlich ausgedruckt hätte oder davon eine Sicherheitskopie existierte.

Schließlich sei es unschädlich, daß die Angaben auf den Anwesenheitslisten offenbar programmgemäß durchweg auf glatte fünf Minuten lauteten. Bei mehreren hundert Anfangs- und Endterminen sei es höchst wahrscheinlich, daß sich damit verbundene Rundungseffekte ausgleichen, was gemäß § 287 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Schätzung erlaube.

Die Anwesenheit eines Arbeitnehmers im Betrieb an seinem Arbeitsplatz begründe bereits eine Vermutung dafür, daß diese zur Erledigung seiner Arbeit jeweils notwendig sei (LAG Berlin, Urteil vom 06.04.1983 – 12 Sa 3/83 – zu 5 a. E. der Gründe). Dafür spreche vorliegend auch, daß die Klägerin einen Bestand von durchweg mehr als 600 Einheiten zu bearbeiteten gehabt hätte, zu denen auch rd. 200 neue Objekte gehört hätten, die mit entsprechend größerem Aufwand hätten eingepflegt werden müssen. Daß die Arbeitsbelastung groß gewesen sei, ergebe sich auch daraus, daß der Vorgesetzte der Klägerin und ihre Kollegin deswegen gelegentlich eines Meetings beim Prokuristen in Halle vorstellig geworden seien, wie die Beklagte eingeräumt habe.

Die von der Klägerin geleisteten Überstunden seien von der Beklagten auch geduldet worden. Abgesehen davon, daß beide Geschäftsführer mitbekommen haben müßten, daß ihre Mitarbeiter über die reguläre Arbeitszeit hinaus anwesend gewesen seien, wie der Zeuge ausgesagt habe, habe sich die Beklagte das Verhalten des Vorgesetzten der Klägerin zurechnen lassen.

Möge dieser vom Zeugen als „Juniorchef“ bezeichnete Mitarbeiter auch bloß Fachvorgesetzter der Klägerin gewesen sein, wie die Beklagte eingewandt habe, habe es doch damit gerade zu seinen Aufgaben bei der arbeitstechnischen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin gehört, darauf zu achten, daß diese ihr Pensum möglichst innerhalb der regulären Arbeitszeit erledigte. Wenn er es gleichwohl hingenommen habe, daß sie deutlich länger anwesend gewesen sei und dies auch in der von ihm entworfenen Excel-Tabelle dokumentiert habe, habe dies aus Sicht der Klägerin nur als Billigung verstanden werden können. Es verhielte sich insoweit nicht anders als im Fall der Abmahnung einer Pflichtwidrigkeit durch den Fachvorgesetzten, der damit aufgrund seiner Direktionsbefugnisse trotz fehlender Kündigungsvollmacht über das Kündigungsrecht des Arbeitgebers verfüge.

Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche – objektive – Vergütungserwartung, die in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sei, habe auch hier bestanden. Während es bei Diensten höherer Art einen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht gebe, daß jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten sei (BAG, Urteil vom 17.08.2011 – 5 AZR 406/10 –), verhalte es sich bei Leistung schlichter Büroarbeit gerade anders.