Landgericht München I, Urteil vom 18.01.2017 (9 O 5246/14):

1 Wird ein nicht mehr einwilligungsfähiger, unter Betreuung stehender Patient mittels PEG-Sonde künstlich ernährt und kann mit der künstlichen Ernährung allenfalls noch eine Lebenserhaltung für die Dauer der lebenserhaltenden Maßnahme ohne Aussicht auf Besserung oder zumindest Stabilisierung des gesundheitlichen Zustandes des Patienten erreicht werden, so stellt es keinen Behandlungsfehler dar, wenn der behandelnde Arzt die Ernährung des Patienten über die PEG-Sonde nicht selbst einstellt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

2 Dem behandelnden Arzt erwächst in einem solchen Fall allerdings aus § 1901b Abs. 1 BGB die das Behandlungsverhältnis gleichfalls prägende Pflicht, den Betreuer davon in Kenntnis zu setzen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar ist, und mit ihm vor diesem Hintergrund zu erörtern, ob die PEG-Sonden-Ernährung fortgesetzt bzw. abgebrochen wird. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

3 Ein Verstoß des Arztes gegen diese Pflicht führt jedenfalls dann nicht zu einem Schadensersatzanspruch des Patienten, wenn nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit festgestellt werden kann, dass im Falle einer Erörterung zwischen Arzt und Betreuer die Entscheidung für eine Beendigung der PEG-Sondenernährung tatsächlich getroffen worden wäre. (Rn. 39 – 46) (redaktioneller Leitsatz)

4 Die Frage, ob im Falle der Erörterung die Entscheidung für eine Beendigung der PEG-Sondenernährung tatsächlich getroffen worden wäre, erfordert eine konkrete, abwägende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall, wobei sich die Entscheidung an den Voraussetzungen der § 1901a, § 1901b BGB zu orientieren hat (Anschluss BGH BeckRS 2010, 29891 Rn. 12). Danach ist zunächst der vom Patienten in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille und – in Ermangelung einer Patientenverfügung – der mutmaßliche Willen des Patienten zu ermitteln. Eine für die Annahme eines Behandlungsabbruchs sprechende Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gibt es nicht. (Rn. 41 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:
Arzthaftung, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Behandlungsfehler, lebenserhaltende Maßnahme, lebensverlängernde Maßnahme, Aufklärungsfehler, Betreuer, Patientenverfügung, mutmaßlicher Wille